Innovative oberflächenmodifizierte TiO2-Beschichtungen bieten neue Hygienelösungen für Innenräume in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen

Dresden /

Jährlich erkranken in Europa rund vier Millionen Menschen an Infektionen hervorgerufen durch Krankenhauskeime. Krankheitserreger verteilen sich unter anderem schnell über Oberflächen wie Handläufe, Klinken oder Touchscreens. Um die Ausbreitung von Krankheitserregern insbesondere in Krankenhäusern aber auch in öffentlichen Gebäuden zu verringern, wird im EU-geförderten Gemeinschaftsprojekt SanFlex (FKZ: 685451) an einer photokatalytischen Beschichtung geforscht, die (zusätzlich) mit supersauren Oberflächeneigenschaften versehen ist. Diese verhindert das Anhaften von Krankheitserregern und tötet zudem auch Mikroorganismen ab. Ziel des Projektes ist die Entwicklung von geeigneten Beschichtungstechnologien zur kostengünstigen Herstellung antipathogener Schutzfolien für Touchscreens. Im Rahmen der Messe BAU 2025, vom 13.–17. Januar 2025 in München, stellen die Forschenden des Fraunhofer FEP erste Ergebnisse am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand Nr. 528 in Halle C2 vor.

© Fraunhofer FEP, Daniel Mählich
Beispiel einer mikrobiell verunreinigten Oberfläche
© Fraunhofer FEP
Phabulous – Pilot-line providing highly advanced & robust manufacturing technology for optical free-form micro-structures

Mit Beginn der kälteren Jahreszeit nehmen Infektionskrankheiten und Grippewellen wieder zu. Oberflächen wie Handläufe, Griffe und Touchscreens sowie andere stark frequentierte Flächen bergen das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern. Besonders gravierend ist dies in Einrichtungen des Gesundheitswesens, wo eine große Zahl infizierter Personen zusammenkommt. In Europa werden jährlich rund 4 Millionen Infektionen, davon 600.000 allein in Deutschland, durch Krankenhauskeime verzeichnet1,2. Um die Ausbreitung dieser Keime zu reduzieren, können Oberflächen mit antimikrobiellen Eigenschaften einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung der Erregerübertragung leisten.

Titanoxidschichten, insbesondere kristallines Titandioxid (TiO2), sind für ihre antimikrobiellen und selbstreinigenden Oberflächeneigenschaften bekannt. Das Fraunhofer FEP erforscht und realisiert seit vielen Jahren Schichtsysteme und die dazugehörigen Beschichtungsprozesse für den Transfer in die industrielle Fertigung. Neben Beschichtungen auf starren Substraten wie Glas entwickeln die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Institutes auch Oberflächenbeschichtungen und deren Funktionalisierung für flexible Materialien wie Folien und Ultradünnglas.

Im Rahmen des m.ERA.NET-Forschungsprojekts SanFlex arbeitet ein schwedisch-deutsches Konsortium an neuen Beschichtungstechnologien, um Krankheitserreger auf Oberflächen wirksam zu reduzieren. Dazu entwickelt das Team eine neue Art von Titanoxidschichten, die so modifiziert sind, dass sie supersaure Oberflächen bilden.

Doppelt wirksame antipathogene Beschichtungen durch supersaure Oberflächen


Die supersauren Oberflächeneigenschaften werden durch einen Photofixierungsprozess erzeugt, während dabei die photokatalytischen Eigenschaften der Titanoxidschichten unbeeinträchtigt bleiben. Diese supersaure Beschichtung hat oleophobe und katalytische Eigenschaften, die verhindern, dass sich Fett und Krankheitserreger auf der Oberfläche festsetzen. Die Beschichtung wirkt als antipathogener Schutz, der zwei Eigenschaften in einem Produkt vereint: Die Anhaftung von Krankheitserregern wird zunächst verhindert und gleichzeitig werden Mikroorganismen auf der Oberfläche abgetötet.

Um die anorganischen Säuregruppen an die Titanoxidschichten zu binden, sind nanokristalline Strukturen erforderlich. Die Bildung solcher kristallinen Strukturen in Titanoxidschichten erfordert in der Regel Prozesstemperaturen von mindestens 250 °C, die für flexible Materialien wie Polymerfolien problematisch sind. Im Rahmen des Projekts werden daher verschiedene Verfahrensansätze untersucht, die die Herstellung kristalliner Schichten bei niedrigeren Substrattemperaturen ermöglichen. An der Universität Uppsala in Schweden wird unter anderem das Hochleistungsimpuls-Magnetronsputtern (HiPIMS) eingesetzt, um die gewünschte Kristallinität der Schichten zu erreichen.

Am Fraunhofer FEP wird ein weiterer Ansatz verfolgt, wie Projektleiter Dr. Matthias Fahland erläutert: „Wir nutzen als weitere Methode zur Herstellung der kristallinen Struktur der vorher bei Raumtemperatur gesputterten – noch amorphen – TiO2-Schichten das Blitzlampen-Tempern (flash lamp annealing, FLA). Die grundlegende Herstellung der kristallinen Schichten durch diese Methode konnten wir bereits auf starren Substraten wie Glas und auch auf flexiblem Ultradünnglas nachweisen. Mit unseren Labor- und Pilotanlagen sind wir in der Lage, diese Schichten reproduzierbar herzustellen und zu skalieren. Diese ersten Erfolge bringen uns nicht nur in der Gebäudeausstattung weiter, sondern können künftig eine verbesserte Hygiene in öffentlichen und medizinischen Einrichtungen ermöglichen.“

Die Ergebnisse wurden auf Glassubstraten einer Fläche von mindestens 50 × 50 mm2 in Laboranlagen und in der Pilotfertigungsanlage ILA 900 am Fraunhofer FEP erzielt. Letztere kann Beschichtungen im industriellen Maßstab prozessieren und verfügt über zusätzliches Equipment, um nicht nur starre Glassubstrate zu behandeln, sondern ebenfalls abschattungsfrei flexibles Dünnglas in Substratgrößen bis zu 600 × 1200 mm2 zu prozessieren. Auch der Nachbehandlungsprozess des FLA ist auf diese Behandlungsfläche skalierbar.

Prozesstransfer auf flexible Substrate für Displayfolien

Ein zentrales Ziel des Projekts SanFlex ist es, die Verfahren zur Beschichtung flexibler Substrate für die Herstellung prototypischer antipathogener Displayfolien anzupassen und die Effektivität der Schichten in realen Krankenhausumgebungen zu demonstrieren. Thomas Preußner, technischer Projektleiter am Fraunhofer FEP, beschreibt den aktuellen Stand: „Unsere ersten Versuche zur Übertragung auf flexible Folien zeigen bereits kristalline Strukturen auf den Substraten. Derzeit arbeiten wir an der Stabilität der erzeugten Schichten. Um den Transfer auf flexible Folien zum Erfolg zu bringen, nutzen wir unser vorhandenes Prozess-Know-How und betrachten den gesamten Schichtherstellungsprozess, beginnend von der Schichtabscheidung durch großflächiges Magnetronsputtern, über das Kristallisieren der Schichten mittels inline FLA, sowie des Anlagerungsprozesses der anorganischen Säuregruppen.“

Gelingt die Erzeugung der doppelt wirksamen, antipathogenen Schichten auf Foliensubstraten, können die Projektpartner mit Rolle-zu-Rolle-Prozessen künftig sehr effiziente und ökonomische Beschichtungsverfahren bereitstellen, die den Transfer in die industrielle Fertigung unterstützen. Der schwedische Partner ChromoGenics wird hierzu seine Kompetenzen in der Herstellung funktionaler Folien einbringen und arbeitet an Rolle-zu-Rolle-Prozessen innerhalb des Projektes.

Um die spätere Einführung solcher Produkte in reale Umgebungen von vornherein erfolgreich zu gestalten, begleitet der Projektpartner Fraunhofer ISI die Forschungsarbeiten und beurteilt deren ökologische, ökonomische und soziale Aspekte und Auswirkungen. Der schwedische Partner Nanoform Science AB steht außerdem zur späteren Vermarktung der Ergebnisse bereit.

Der Einsatz derartiger Beschichtungen im Bau- und Gebäudebereich, insbesondere für Oberflächen, die regelmäßig mit Menschen in Berührung kommen, eröffnet neue Perspektiven für hygienische Innenraumlösungen, die eine signifikante Verbesserung der Gesundheitssicherheit mit sich bringen. Gelingt die Skalierung in kostengünstige Rolle-zu-Rolle-Fertigungsprozesse, sind neben dem Einsatz im Gebäudesektor auch weitere Anwendungen z. B. im Fahrzeugbau oder in der Displayanwendung denkbar.

Die Wissenschaftler des Fraunhofer FEP präsentieren erste Ergebnisse auf der Messe BAU 2025 und stehen hier für Diskussionen und vertiefende Gespräche vom 13. bis 17. Januar 2025 am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand Nr. 528 in Halle C2 zur Verfügung.

Über das Projekt SanFlex

Antipathogene Polymerfolien für Touchscreens – SanFlex
Teilprojekt: Anwendung der Blitzlampenbehandlung für die Aktivierung antipathogener Oberflächen sowie sozialökonomische Betrachtungen dazu

Fördergeber: Das Projekt wird gefördert im Rahmen der Initiative M-ERA.NET innerhalb des EU-Programmes Horizon 2020, ausgeführt durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst SMWK

Förderkennzeichen: M-ERA.NET No. 685451, SMWK 100631596/612
Förderzeitraum: 1.6.2022 – 31.5.2025

Projektpartner:

  • Universität Uppsala, Schweden (Projektkoordinator)
  • Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
  • Fraunhofer-Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP
  • ChromoGenics AB, Schweden
  • NanoForm Science AB, Schweden

Fraunhofer FEP auf der Messe BAU 2025

13. – 17. Januar 2025
Messegelände München
Fraunhofer-Gemeinschaftsstand Halle C2, Stand Nr. 528

Während der Messe werden beim Fraunhofer FEP folgende Themen präsentiert:

  • Modellhaus mit den Beschichtungstechnologien des Instituts für den Bau- und Gebäudesektor, darunter:
    • Low-e Beschichtungen
    • Thermochrome Beschichtungen
    • Antipathogene Beschichtungen und Oberflächen
    • Antireflektive Beschichtungen für Glasanwendungen
    • Beschichtungen von ultradünnem, flexiblen Glas
    • Barriereschichten für Solaranwendungen
    • 3D-Beschichtungen für Röhrenkollektoren und Zeolithwärmespeicher
    • Strukturierungsprozesse für Design-PV-Anwendungen
  • Herstellung nachhaltiger Baumaterialien durch biogene Kalksynthese
  • Glasmodule mit antireflektiver Beschichtung
  • Rekonstruktion historischer Spiegel durch quecksilberfreie Dünnschichten

Weitere Informationen: www.fep.fraunhofer.de/bau

Quellen

1 C. Suetens et al., “Prevalence of healthcare-associated infections, estimated incidence and composite antimicrobial resistance index in acute care hospitals and long-term care facilities: results from two European point prevalence surveys, 2016 to 2017”, Eurosurveillance, 2018, vol. 23/46.

2 Deutscher Bundestag, https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-973282